[25.04.2011]
Zur Handhabung der Komplexität in der Beschaffung können unterschiedliche Ansätze verfolgt werden, die abhängig von der Stellung des Unternehmens in der Wertschöpfungskette, dem Produkt des Unternehmens, der Größe des Unternehmens, dem Reifegrad im Lebenszyklus des Produkts oder der Innovationsdynamik des Produkts eine unterschiedliche Bedeutung für ein Unternehmen besitzen. Ausgehend von den strategischen Stoßrichtungen des Komplexitätsmanagements – Komplexität reduzieren, Komplexität beherrschen und Komplexität vermeiden – lassen sich die nachfolgend dargestellten Ansätze den Stoßrichtungen des Komplexitätsmanagements zuordnen.
In aller Regel lassen sich Ansätze nur in Kombination mit anderen Ansätzen realisieren, wobei bestehende Ansätze zum Komplexitätsmanagement im Unternehmen mit berücksichtigt werden müssen. Die Modul- und Systembeschaffung kann beispielsweise ohne eine vertragliche Absicherung durch Lebenszyklus- und Rahmenverträge nicht realisiert werden. Die Mehrfachverwendung von Bauteilen oder Rohstoffen ist eng gekoppelt an die Möglichkeiten der Substitution oder an die Möglichkeit der Standardisierung oder Normung von Materialien. Die Wirkungsrichtungen der vorliegenden Ansätze auf die Komplexität in der Beschaffung sind unterschiedlich ausgeprägt. Die Substitution wirkt in diesem Zusammenhang auf die Reduzierung der Anzahl zu unterscheidender Materialien, was neben der Reduzierung der Komplexität in der Planung, Steuerung und Disposition sowie der Logistik auch aus der Beschaffungssicht noch Bündelungseffekte von Einkaufsvolumina zur Folge haben kann. In die gleiche Richtung zielen die Ansätze der Standardisierung oder Normung von Bauteilen oder die Mehrfachverwendbarkeit von Bauteilen.
Bei der Lieferantenkonzentration treten zum einen Bündelungseffekte bei den verbleibenden Lieferanten auf, die Anzahl der verschiedenen Beschaffungsprozesse wird reduziert, die abgewickelten Volumina pro Beschaffungsprozessalternative steigen, so dass dies auch eine Reduzierung der internen Prozesskosten nach sich zieht und nicht zuletzt der in der Beschaffung anfallende Aufwand für Lieferantenpflege, Auswahl und Kontrolle reduziert wird. Die Modul- und Systembeschaffung hat zur Folge, dass im Abnehmer-Unternehmen eine wesentlich geringere Anzahl verschiedener Teile und Materialien koordiniert werden muss, die logistische Zusammenführung der einzelnen Elemente der Module und Systeme übernimmt der Lieferant. Demzufolge resultiert eine bedeutende Reduzierung der Teile- und Prozessvielfalt in der Beschaffung.
Eine Plattformstrategie, die überwiegend in der Luftfahrt- und Automobilindustrie umgesetzt wird, verfolgt im Grunde eine Komplexitätsreduzierung nach dem Baukastenprinzip: Aus einer möglichst geringen Anzahl unterschiedlicher Bauteile die vom Markt geforderte Vielfalt an Endprodukten zu generieren. Für die Beschaffung ergeben sich daraus ähnliche Konsequenzen wie bei der Modul- oder Systembeschaffung. Die Optimierung der Leistungstiefe beeinflusst unmittelbar das zu beschaffende Güterspektrum und damit auch die Vielfalt der Ausprägungen und die Komplexität der Beschaffungsaufgabe innerhalb von Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen. Bei der Verbundbeschaffung ist der zentrale Ansatz, Beschaffungsvolumina zu bündeln, um so Skaleneffekte beim Lieferanten zu erzielen. Daraus resultiert im Wesentlichen eine verringerte Beschaffungsprozesskomplexität, da eine zentrale Beschaffungsstelle die Interessen aller beteiligten Bedarfsträger koordiniert. Durch eine differenzierte Vertragsgestaltung kann die Beschaffungsprozesskomplexität reduziert werden, beispielsweise durch das vereinfachte Abrufen von Materialien aus Rahmenverträgen. Die Verlagerung und Übertragung von Logistikleistungen auf den Lieferanten, wie Qualitätssicherung, Verpackungs- und Kommissionierumfänge, Preisauszeichnungen bis hin zur produktionssynchronen Anlieferung beim Abnehmer am Verbrauchsort, reduziert im erheblichen Umfang die Beschaffungsprozesskomplexität aus der Sicht des Abnehmers. Aus der Sicht des Lieferanten eröffnen diese zusätzlichen Logistikleistungen ein Differenzierungspotential gegenüber Wettbewerbern und ermöglichen ein Zusatzgeschäft.
Die organisatorische Trennung von strategischen und operativen Aufgaben ermöglicht vielfach eine strategische Ausrichtung und differenzierte Ableitung von Beschaffungsstrategien und bildet somit die Basis für die Umsetzung aller weiterführenden Konzepte zur Optimierung der Beschaffungsfunktion in einem Unternehmen. Die Dezentralisierung operativer Einkaufsaktivitäten an die Wertschöpfungsprozesse ist eng verknüpft mit dem Ansatz der Modularisierung von Organisationseinheiten, die in mehreren Dimensionen eine erhebliche Reduzierung der Unternehmenskomplexität bewirkt.
Wie aus der Wirkungsanalyse der verschiedenen Ansätze auf die Komplexität in der Beschaffung deutlich wurde, lassen sich Komplexitätseffekte fast immer auf die Objekt- und Teilevielfalt oder die Beschaffungsprozessvielfalt zurückführen. Dies unterstreicht die Bedeutung der aufgezeigten Ansatzpunkte zur Realisierung von Einsparpotentialen durch die Reduzierung der durch die Komplexität induzierten Kosten oder der direkten Verringerung der Komplexitätskosten im Beschaffungsprozess.