[27.07.2020]
Die Besorgnis über geopolitische und wirtschaftliche Risiken hat bei denjenigen zugenommen, die die Lieferketten von Unternehmen überwachen. Sowohl Brexit im Jahr 2016 als auch der scheinbare Beginn einer neuen Ära in der US-Handelspolitik unter der Präsidentschaft von Donald Trump im Jahr 2017 haben neue Unsicherheiten geschaffen. Zum Beispiel könnten Fabrikleiter in Asien, deren Betriebe wichtige Glieder in den globalen Lieferketten vieler Unternehmen sind, nationalistische Rhetorik aus dem Westen lesen und sich daher fragen, ob einige ihrer Lieferantenbeziehungen unzweckmäßig geworden sind. Manager in multinationalen Unternehmen mit komplexen, weltumspannenden Beschaffungsnetzwerken könnten befürchten, dass der Perspektivwechsel durch die Krise sie dazu zwingt, Arbeitsplätze zu verlagern oder zu überdenken, wie ihre Produkte hergestellt werden und woher sie kommen. Die Corona-Krise traf die Weltwirtschaft unvorbereitet und hatte bei einem Großteil der Unternehmen fatale Auswirkungen. Zwar waren die Auftragsbücher gefüllt, dennoch stand das Band still. Grund dafür war der Abriss der Lieferketten.
Lange und komplizierte Versorgungsketten erfordern auch mehr Luft- und Wassertransporte und erzeugen mehr Treibhausgase. Allein der internationale Schiffsverkehr produziert etwa so viele Kohlendioxidemissionen wie ganz Deutschland und ist somit für etwa zwei Prozent aller Emissionen verantwortlich. Dazu tragen vor allem Containerschiffe bei. Darüber hinaus ist es für die Endproduzenten umso schwieriger, ein vollständiges Bild ihrer Kohlenstoffemissionen zu erhalten, je mehr Glieder der Lieferkette vorhanden sind.
Welche Vorteile bietet die Neubewertung und risikoorientierte Verkürzung von Supply Chains?
Zunächst ist ein Supplier Mapping durchzuführen. Dabei werden die Stücklisten der Produkte im Unternehmen konsolidiert. Der Fokus liegt dabei auf den Schlüsselkomponenten. Sie beginnen in der Regel mit den fünf umsatzstärksten Produkten und geht bis hinunter zu ihren Komponentenlieferanten und deren Lieferanten, im Idealfall bis hinunter zu den Rohstofflieferanten. Ziel sollte es sein, so tief wie möglich zu gehen, da es versteckte kritische Lieferanten geben kann, deren Risikoeinfluss bisher nicht bekannt war. Die Supplier Map sollte auch Informationen darüber enthalten, welche Aktivitäten ein Hauptstandort ausführt, welche alternativen Standorte der Lieferant hat, die die gleiche Aktivität ausführen könnten, und wie lange der Lieferant brauchen würde, um mit dem Versand vom alternativen Standort zu beginnen. TCW unterstützt mit Hilfe seiner KI-gesteuerten Analysesoftware die Erfassung und Analyse der Versorgungsnetzwerkdaten. Dashboards ermöglichen eine transparente Darstellung der Ergebnisse. In einer Supply Map werden Warenströme und Risikofelder abgebildet, um mögliche Lieferkettenoptionen darzustellen. Dies bildet die Grundlage für die weiteren Analysen sowie für die Ableitung der Maßnahmen für das Risikomanagement in den nächsten Schritten. Eine Aufgabe des Risikomanagements für vergleichbare zukünftige Situationen ist demnach die genaue Abwägung, welche Warengruppen im Krisenfall einer besonders hohen Nachfrage unterliegen. Die Fertigung im eigenen Land oder auf europäischer Ebene würde letztlich zur gewünschten Unabhängigkeit führen, bedingt allerdings auch eine entsprechende Schaffung der Infrastruktur. Darüber hinaus würde auch das Know-how über die Rohstoffe und die Fertigung der Waren zurückkehren. Netzwerkstrukturen bieten sich an, um die Robustheit im Störungsfall zu steigern. Zu diesen gehören neben Rohstofflieferanten auch Unternehmen aus Transport und Logistik. Der letzte Schritt ist die Konsolidierung der Ergebnisse aus dem Supply Mapping, dem Risikomanagement und die Berücksichtigung von länderspezifischen Gegebenheiten aus dem Netzwerk. Dabei werden durch diesen Country Sourcing Index Handlungsempfehlungen generiert, welche zu einer Umstrukturierung oder Verkürzung der Supply Chains führen.
Ein Unternehmen aus dem Maschinenbau stand vor der Herausforderung, dass die Lieferketten durch ein unvorhergesehenes Ereignis unterbrochen wurden und somit die Produktion ausgesetzt werden musste. Infolgedessen wurden wichtige Kundenaufträge verloren. Um dies zukünftig zu vermeiden, hat das Unternehmen zusammen mit TCW sogenannte Stresstests definiert und durchgeführt, um somit unkalkulierbare, globale Ereignisse und Katastrophen und deren Auswirkung auf die eigenen Supply Chains zu simulieren. Im ersten Schritt wurden die kompletten Wertschöpfungsketten erfasst und digitalisiert. Dieser digitale Zwilling diente als Basis für die Stresstests. Im nächsten Schritt wurden in cross-funktionalen Workshops Worst-Case-Szenarien definiert, mit deren die Robustheit der Lieferketten getestet werden sollte. Als erstes wurde festgestellt, dass Lieferketten schneller abreißen können, wenn der Transport via Schiff und Flugzeug erfolgt. Häfen und Flughäfen sind als logistische Knotenpunkte störungsanfällig, wie im Falle von Lockdowns, lassen sich aber aufgrund geographischer Gegebenheiten nicht immer vermeiden. Zur Erkennung von Risiken in der Lieferkette bei Sub-Lieferanten aus Tier 2 oder 3 wurden KI-Tools eingesetzt. So konnte hier eine bisher nicht gekannte Transparenz geschaffen werden, welche auch als Hebel bei künftigen Verhandlungen eingesetzt werden kann. Letztendlich wurden dadurch sämtliche Supply Chains des Unternehmens neu bewertet und durch Kürzungen das Ausfallrisiko minimiert. TCW hat zusammen mit dem Unternehmen dieser Fallstudie aufgrund der Erkenntnisse im Anschluss ein Warenstrommodell entwickelt und dabei Reaktionsmuster für mögliche Schwachstellen aufgezeigt. Dieses fördert neben deren Identifikation auch das Risikobewusstsein und sensibilisiert die Mitarbeiter für künftige Krisen. Zwar konnten globale Ereignisse wie die aktuelle Covid-19-Pandemie nicht exakt simuliert werden, jedoch waren die Mitarbeiter des Unternehmens im Umfang mit möglichen Krisen geschult und somit besser auf diese Krise vorbereitet. Dies ist dadurch ersichtlich, dass trotz weltweiter Lockdowns die Produktion bislang nicht aufgrund von getrennten Lieferketten unterbrochen werden musste.
Es existiert keine Pauschallösung zur Neubewertung und zum Risikomanagement in Supply Chains, welche in jedem Unternehmen angewandt werden kann. So ist eine Umsiedlung der Produktion direkt auf den Absatzmarkt für Unternehmen in Deutschland nicht pauschal zu empfehlen. Die Gefahr, dass die Kosten der eigenen Produkte stark ansteigen, wäre dabei sehr groß. Diese ließen sich am Absatzmarkt nur schwer weitergeben, wodurch die Konkurrenzfähigkeit am Ende leidet. Darüber hinaus könnte gerade die breite Masse an Kleinunternehmen die finanziellen Risiken durch die mögliche Verteuerung ihrer Produkte auf Dauer nicht tragen. Das im Projekt angewandte Risikomanagement sollte demnach die Klärung nach der Dringlichkeit, bei der jeweiligen Warengruppe eine Unabhängigkeit vom Ausland herzustellen, unbedingt berücksichtigen. Im Projekt ergab sich eine Kombinationslösung, wobei ein Teil der Produkte regional und ein anderer notwendiger Teil weiterhin international beschafft wurde. Um zu vermeiden, dass die Produktion bei einer Krise still steht, sind kurze Wege bei der Rohstoffbeschaffung sinnvoll. Beim Unternehmen dieser Fallstudie war dies jedoch aufgrund der Wettbewerbssituation im preissensiblen Markt nicht möglich, weshalb eine Lagerung von krisenrelevanten Waren auf lange Sicht angestrebt wird. Nutzen auch Sie die Erfahrung des TCW um Ihre Supply Chains neu zu bewerten und kritische Pfade abzusichern, um für künftige Krisen gewappnet zu sein.