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Nicht ohne meinen Kunden

[25.07.2001]

Foto: WavebreakmediaMicro / fotolia.com
Von 100 Entwicklungsprojekten werden lediglich 10 ein Markterfolg. Vielen Unternehmen will es nicht gelingen, Innovationsprozesse so zu gestalten, dass die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden systematisch erschlossen werden. Prof. Horst Wildemann erklärt, was die Schlüsselfaktoren für kundennahes Innovationsmanagement sind und wie man sie umsetzen kann.

Die Erfolge der Mercedes-Benz-Pkw-Sparte der DaimlerChrysler AG, die mittlerweile den zweiten Platz der Kfz-Zulassungsstatistik in Deutschland erobert hat, zeigen in eindrucksvoller Weise, dass die Kundenorientierung nicht erst bei dem fertigen Produkt anfängt. Vielmehr muss sie bereits bei der Generierung von Neuproduktideen beginnen, durch eine frühzeitige Identifikation von Kundenanforderungen.

Deutsche Unternehmen investierten jährlich annähernd 60 Milliarden Mark (30,7 Mrd. Euro) in die Weiter- und Neuentwicklung ihrer Produkte. Auch wenn von einem Zusammenhang zwischen den Innovationsaktivitäten und der Umsatzrendite von Unternehmen ausgegangen werden kann, entscheidet letztendlich allein der Kunde über den Absatzerfolg eines neuen Produktes. Die Berücksichtigung der "Stimme des Kunden" ist mithin der wesentliche Erfolgsfaktor in der Entwicklung und Konstruktion von Neuprodukten und darf keinesfalls auf den After-Sales-Service beschränkt bleiben. Denn nur auf diese Weise kann frühzeitig eine Deckungsgleichheit erzielt werden von Produktideen und den tatsächlich durch den Kunden wahrgenommenen Produkteigenschaften sowie der technischen Ausgestaltung des Neuproduktes. Für Unternehmen wird es immer wichtiger, das beim Kunden vorhandene Wissen kontinuierlich zu erschließen und in konkrete Produktmerkmale zu überführen.

Trotz der Einführung eines "intelligenten Übersetzers", der die Sprache des Kunden in die des Produktentwicklers übersetzt, treten jedoch immer wieder Divergenzen zwischen der konkreten Ausgestaltung des Produktes und den tatsächlichen Kundenanforderungen auf. Die Problematik beginnt mit der Auswahl der einzubeziehenden Kunden. Die Dauer der Kundenbindung oder der Kapitalwert des Kunden reichen allein nicht aus, um eine Auswahl von Kunden zu treffen. Diese Größen sind lediglich die Resultierende aus dem bestehenden Produktprogramm, ohne dass sie eine Bewertung des Kunden hinsichtlich seines potenziellen Beitrags zur Weiter- und Neuentwicklung von Produkten ermöglichen. Kunden sollten nur dann in den Entwicklungsprozess einbezogen werden, wenn sie Träger von Innovationen sind und somit einen bestimmten "Wert" für das Unternehmen besitzen.

Zur Erschließung der Innovationskraft der Kunden sind insbesondere die potentiellen, also die noch nicht akquirierten Kunden, von höchster Relevanz, die zur Zeit noch Konkurrenzprodukte kaufen. Um sich auch dieses Innovations-Know-how zu erschließen, ist es erforderlich Netzwerke zu bilden, die einen schnelleren Zugang zu den relevanten Informationen erlauben. Im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Netzwerkbildung stehen auch die Grundfragen zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens an der Schnittstelle zwischen Customer Relationship Management (CRM) und Konstruktion und Entwicklung. Häufig wird eine "demand pull"-Strategie, also die Initiierung von Entwicklungsaktivitäten durch den Kunden, als geeigneter angesehen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass dies in erster Linie für die kontinuierliche Weiterentwicklung bestehender Produkte gilt. Demgegenüber sind durch einen "Technology-push" latente Bedürfnisse potenzieller Kunden durch die Entwicklung neuer Technologien zu wecken. Die Hauptaufgabe des "intelligenten Übersetzers" muss es demnach sein, bei der Produkt-Vorentwicklung die wesentlichen Problemstellungen und Anregungen auch seitens potenzieller Kunden nicht nur zu selektieren, sondern auch deren Anforderungen an die Neuproduktgestaltung zu definieren. Der intelligente Übersetzer muss demnach die beiden strategischen Grundausrichtungen optimal abstimmen: Neben einer frühzeitigen Identifikation technologischer Trends bildet das Erkennen derzeitiger Kundenbedürfnisse anhand der Kundenzufriedenheitsurteile die Ausgangsbasis für die Produktentwicklung.

Entsprechend der im CRM angestrebten Ausrichtung der Unternehmensorganisation auf die vorhandenen und potenziellen Kundenbeziehungen gehören auch die Konstruktions- und Entwicklungsprozesse in den Unternehmen auf den Prüfstand. Um diese konsequent auf die Erschließung und Integration des Erfahrungswissens der Kunden auszurichten, müssen am Ende einer jeden Prozessphase Quality Gates eingerichtet werden. Diese ermöglichen das systematische Vorgehen im Management der Innovationen von Kundenseite. Das erfordert die Schnittstellen zwischen Kunden, Marketing und Entwicklungsabteilung neu zu gestalten. Darüber hinaus muss die "Übersetzerinstanz" im Rahmen des Entwicklungsprozesses konkret definiert werden. Hier stellt sich die Frage, wo dieser Übersetzer organisatorisch im Unternehmen angesiedelt werden muss, und vor allem wer die Transferleistung zu bewerkstelligen hat. Führt man sich die hohe Abbruchrate an Produktentwicklungsprojekten vor Augen, so muss dieser Übersetzer zwangsläufig aus einem interdisziplinären Team bestehen, das alle Sichten der Produktentwicklung berücksichtigen kann sowie über fundierte Kenntnisse des Marktes und der bestehenden und potenziellen Kunden verfügt.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Rolle des klassischen Marktforschers im Unternehmen kritisch zu durchleuchten. Bislang zeichnete oft ein mangelndes Vertriebs- und Management-Know-how der Marktforschung für die Verabschiedung nicht-realisierbarer Konzepte verantwortlich. Verschärfend kam eine zögerliche Implementierung und Umsetzung der Marktforschungsergebnisse seitens der Unternehmensführung hinzu. Zukünftig gilt es, die Marktforschung vollständig und kontinuierlich in die laufenden Produktentwicklungsprozesse zu integrieren, um für die Übersetzung der Stimme des Kunden einen wertvollen Support zu liefern. Letztendlich muss man dem Customer-Relationship-Management durch eine kundenorientierte Sichtweise über die gesamte Unternehmensorganisation Rechnung tragen.

Die Tools des Customer-Relationship-Management werden im Leitfaden Wildemann H.: Innovationsmanagement, Leitfaden zur Einführung eines effektiven und effizienten Innovationsmanagement, ISBN: 3-931511-94-4 ,2. Aufl., TCW-Verlag, München 2001 ausführlich anhand von Charts und Checklisten aufgezeigt und bilden so eine Anleitung zur unmittelbaren Umsetzung.

Weiterführende Literatur:

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