[23.02.2001]
Qualitätsbewußtsein und Reputationskapital von Unternehmen
Horst Wildemann
Bisher hatten sich in den vergangenen Jahren über 800 Unternehmen um den Bayerischen Qualitätspreis beworben, und es stellt sich die Frage, was die große Zahl der Unternehmen bewogen hat, sich der Mühe dieser Bewerbung zu unterziehen. Der entscheidende Antrieb mag vielmehr gewesen sein, die Leistungen im Bereich des Qualitätsmanagements, die in den Unternehmen erbracht worden sind, für eine breite Öffentlichkeit transparent zu machen und damit die Reputation der Unternehmen zu vermehren, also Reputationskapital anzusammeln. Die Verleihung des Bayerischen Qualitätspreises ist dafür sicher eine gute Gelegenheit.
Die Tatsache, dass die Verleihung dieses Preises seit 1993 erfolgt, vermittelt fast den Eindruck, als ob der Gedanke dieses Preises neu sei. Aber auch wenn wir uns viel auf unsere Urheberschaft zugute halten und mit Freude sehen, dass andere Länder mit ähnlichen Preisen dem bayerischen Beispiel folgen - die Würdigung von Qualitätsprodukten hat in Bayern eine viel längere Tradition als acht Jahre und war ehedem mit der Verleihung eines eindrucksvollen Titels verbunden, nämlich des Titels des Königlich Bayerischen Hoflieferanten. Ein Titel, der in einer damals noch kleineren Welt nicht nur Reputation bedeutete, sondern ein derartiges Reputationskapital darstellte, dass sich noch heute die Nachfahren dieser damals ausgezeichneten Firmen mit dem offenbar werbewirksamen Titel „ehemals Königlich Bayerischer Hoflieferant‘ schmücken. Der heutige Bayerische Qualitätspreis hat also eine Vorgeschichte und ist absolut notwendig, um den Wettbewerbsnachteil der heutigen (nachköniglichen) Generation auszugleichen, die sich nicht mehr um den ehemals offenbar aussagekräftigen Titel „Königlich Bayerischer Hoflieferant‘ bewerben kann. Allerdings vermuten wir, dass die Bedeutung des heutigen Bayerischen Qualitätspreises dem alten Titel längst den Rang abgelaufen hat und dass für die Reputation der Unternehmen die heute verliehenen Preise mehr aussagen als ein sicher dekoratives Schild aus der bayerischen Königszeit.
Es hat sich längst herumgesprochen, dass heute wirklich viel verlangt wird, wenn man zu den mit dem Preis ausgezeichneten gehören möchte, und alle, die sich bisher um die Verleihung dieses Preises bemüht hatten, können sicher davon beredt Zeugnis geben. Zu den besten der Bewerbern zu gehören bedeutet aber nicht nur Mühe, sondern auch eine gewaltige Reputation oder, wenn man es qualitativ ausdrücken will, eine beachtliche Mehrung des Reputationskapitals. Um das zu erreichen, bedarf es bei diesem Preis weniger des Glücks als vielmehr eines guten Managements des Miteinanders verschiedener Faktoren.
Zuerst gehört dazu die Ablieferung einer kontinuierlich guten Produktqualität. Das Produkt muss den Anforderungen des Marktes entsprechen, und das heißt doch in aller Regel: Die Kunden müssen überzeugt sein, ein Produkt zu kaufen oder gekauft zu haben, das ihnen für die benötigte Gebrauchsdauer zu einem angemessenen Preis einen größtmöglichen Nutzen sichert. Die Kaufentscheidung und die langfristige Zufriedenheit des Kunden mit der Qualität des Produkts sind eine wichtige externe Maßeinheit für gute Produktqualität. Das bedeutet aber auch, dass der Kunde die Produktqualität verstehen und wahrnehmen muss, um sie schätzen zu lernen. Stellen Sie sich vor, ein Hosenfabrikant wirbt mit der Aussage, dass seine Produkte ein Generation lang halten. Eine solche Aussage, wenn sie sich denn als wahr erweisen sollte, würde sicher für die Qualität des Materials wie auch der Arbeit sprechen, geht aber am Interesse der Käufer vorbei, die ja längst verinnerlicht haben, dass die Mode und mit ihr der Geschmack sich ständig verändern und dass eine zu lange Lebensdauer eines Kleidungsstückes wenig reizvoll ist, weil sie einen nur in unnötige Entscheidungszwänge bringt. Betrachtet man dagegen den Hersteller eines Autos, das sich durch eine außergewöhnliche passive Sicherheit auszeichnet, der dies als Wettbewerbsvorteil herausstreichen möchte. Geworben wird dafür mit einem hoffentlich nicht auftretenden Szenario. Voraussetzung dafür, dass der Kunden die Produktqualität wirklich schätzen lernt, ist in diesem Fall ein schon vorhandenes Grundvertrauen in den Wahrheitsgehalt der Unternehmensaussagen. Das heißt, ohne ausreichendes Reputationskapital wird die Firmenwerbung den Kunden gar nicht erreichen. Dass angesammeltes Reputationskapital manchen neidvollen Mitbewerber nicht ruhig schlafen läßt, konnte man zuletzt an der verleumderischen Pressekampagne in Nordamerika ablesen, mit der ein bekannter bayerischer Automobilhersteller der Unredlichkeit bezichtigt wurde. Diese Aktion führte ja zu einem nicht unerheblichen Absatzeinbruch im nordamerikanischen Markt, der jetzt wohl glücklicherweise überwunden scheint. Qualität setzt sich durch, so möchte man sagen, wenn denn diese Qualität vom Kunden geglaubt und durch die Realität bestätigt wird.
Wenn man der Qualität einen so hohen Stellenwert einräumt, ist ein Blick auf die Qualitätskosten wichtig. Lösen wir uns von der traditionellen Dreiteilung in Fehlerverhütungs-, Prüf- und Fehlerkosten. Betrachten wir die Gliederung in Kosten der Abweichung und Kosten der Übereinstimmung. Letztere sind relativ gut planbare Kosten. Sie entstehen zum Beispiel für Schulungen, Zertifizierungs- und Qualitätsförderungsprogramme. Wenn Unternehmen in Zukunft investieren wollen, dann müssen die Kosten in den nächsten Jahren steigen, damit die Kosten der Abweichung fallen. Langfristig wird sich die Strategie der präventiven Qualitätssicherung auch auf die Höhe der gesamten Qualitätskosten auswirken. Die Unternehmen werden als Resultat aus ihren Aktivitäten um Qualitätsverbesserung aber mit Sicherheit auch eine Ergebnisverbesserung bilanzieren können.
Beides, eine sehr gute Produktqualität und die Qualitätsakzeptanz durch den Kunden, wäre aber überhaupt nicht zu erreichen ohne ein unternehmensweites Qualitätsbewußtsein, und das heißt zuerst, es wäre nicht zu erreichen ohne außerordentlich motivierte Mitarbeiter, die nicht nur ihren Job versehen, sondern am Wert und der Qualität ihrer Arbeit interessiert sind und sich deswegen hineindenken in immer neue Verbesserungen und Qualitätssteigerungen. Unternehmensweites Qualitätsbewußtsein ist nun einmal die Grundlage einer guten Unternehmensreputation. In den Richtlinien internationaler und auch nationaler Qualitätspreise spiegeln sich diese Voraussetzungen wider. Bedingt durch das umfassende Untersuchungsgebiet der Qualitätspreise, sind in den Richtlinien Standards zu Ergebnisgrößen, Prozessen und Verhaltensweisen enthalten. Ergebnisstandards betreffen sowohl die Geschäftsergebnisse als auch die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit und die Auswirkungen auf die Gesellschaft. Prozessstandards beinhalten Grundsätze zur Gestaltung, Aufgabenwahrnehmung, Messung und Kommentation der Abläufe im Unternehmen. Mit Hilfe von Verhaltensstandards sollen der Führungsstil, die Zusammenarbeit und die Kommunikation geregelt werden. So kann eine Verfahrensweise nach der DIN ISO 9000 ff. auch nur der Grundstein zu einem herausragenden Qualitätsbewußtsein sein. Die Fähigkeit, sich den Richtlinien eines Qualitätspreises wie des Bayerischen Qualitätspreises oder des Europäischen Qualitätspreises unterwerfen zu können, ist schon eine wesentliche Voraussetzung dafür, als ein Unternehmen mit einer herausragenden Unternehmensqualität zu gelten. Indem diese Fähigkeit bewiesen wird, sind die Unternehmen auf einer Stufe angekommen, wo sie mit Sicherheit eine gute Unternehmensreputation aufweisen. Doch damit ist die Arbeit nicht getan. Wie jedes Kapital ist auch das Reputationskapital von Unternehmen flüchtig. Selten total und nicht immer sofort, aber doch merkbar, wenn es nicht immer wieder konsolidiert und ausgebaut wird. Die Reputation zum Beispiel, die der Autor möglicherweise aufgrund einer guten Vorlesungsreihe bei den Studenten erworben hat, wird durch zwei bis drei schwache Vorlesungen, in denen neue wissenschaftliche Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, schon erheblich reduziert, und die Geschwindigkeit, mit der die Reputation abnimmt, ist reichlich überproportional gegenüber deren Erwerb. Gefragt ist von den Studenten ein Ernstnehmen ihres Interesses, mit dem neuesten Stand der Forschung bekanntgemacht zu werden. Das ist kein Interesse, das mit einer einmaligen Leistung befriedigt wird. Wie in der Industrie kann sich mit einer einmaligen guten Leistung keiner dauerhaft einen guten Namen machen. So, wie neue wissenschaftliche Erkenntnisse Teile des alten Vorlesungsstoffes obsolet machen, erfordern neue Bewegungen in den Beschaffungs- und Absatzmärkten ständig Anpassung und Verbesserung in ihrem Unternehmen. Nur so bleibt Reputationskapital erhalten.
Die Erhaltung von Reputationskapital kann man auch als Handikap-Management bezeichnen. Der Begriff Handkap ist aus der Golfer-Sprache bekannt. Das Handikap ist die Vorgabe, die ein schwächerer Golfer erhält, damit ein Wettbewerbsgleichgewicht hergestellt wird. Auch zum Management des Golfkurses ist das Handikap eine wichtige Steuergröße. Ließe man eine Gruppe mit Handikap vier hinter einer Gruppe mit Handikap 15 spielen, würde man einen „Auffahrunfall‘ produzieren. Auch im Marktgeschehen existieren Handikaps - übrigens entgegen jeder Theorie. Pionierunternehmen, die mit hochinnovativen Produkten in einem Markt drängen, der danach verlangt, haben das Handikap 0, Unternehmen mit Handikap 30 sind Empfänger staatlicher Subventionen, und ganz entgegen der Golf-Ordnung werden sie immer noch auf den Platz, sprich: den Markt, gelassen. Handikaps zu erhalten oder zu verbessern ist der Kernpunkt des Managements strategischer Wettbewerbsvorteile. Strategische Wettbewerbsvorteile werden losgelöst vom Tagesgeschäft gemanagt. Das Handikap-Management jedoch ist ein täglicher Kampf um eine Leistungsverbesserung.
Welches sind nun die Handikaps im Kampf um eine gute Unternehmensreputation? Wenn wir uns gedanklich einige Jahre zurückbewegen, können wir dann nicht auch feststellen, dass der Ausgangspunkt für ein wiederauflebendes Qualitätsbewußtsein die Auditierung durch die Kunden war? Alle kennen die Auditierungsprogramme, die ihren Ursprung in der Automobilindustrie fanden. Begleitet wurden die Audits durch Förderprogramme in der Lieferantenbeziehung. Ihre Namen kennen wir: POZ bei BMW, KVP bei VW oder Tandem bei Mercedes. Angestoßen durch die Anforderungen der Kunden, ist der nächste Schritt, das nächste Handikap, die Durchführung eines internen Audits. Um für den nächsten Schritt, die Zertifizierung nach DIN ISO 9000 ff. gerüstet zu sein, überprüft zumeist die Qualitätsabteilung die Einhaltung einschlägiger Verfahrensanweisungen. Die Überwindung der nächsten Hürde, des Zertifikats nach DIN ISO 9000 ff., stehen jetzt nur noch die allseits beliebten Auditoren ihrer Zertifizierungsgesellschaft im Wege.
Waren dies bereits die Handikaps auf dem Weg zu einer guten Unternehmensreputation? Leider nein. Die Leistung, einmal unter Beweis gestellte Qualitätsfähigkeit dauerhaft halten zu können, ist der nächste Schritt. Insbesondere die Preisträger haben diesen Schritt schon vollzogen, denn er ist nur mit der Einführung eines Systems interner Auditierungen zu bewerkstelligen. In periodischen Abständen auditieren eigene Mitarbeiter, sei es aus dem Qualitätsmanagement oder einer andern Abteilung, bestimmte Unternehmensbereiche. Die Veränderung von Indikatoren wird regelmäßig überprüft und gegebenenfalls Optimierungsmaßnahmen eingeleitet. Was könnte nun der nächste Schritt, das nächste Handikap sein, das es zu überwinden gilt? Es ist die Teilnahme am bayerischen Qualitätspreis. Mit diesem Schritt hat man sich schon erheblich vorgearbeitet. Der schließlich letzte Schritt auf dem Weg zum Gewinnen der Weltmeisterschaft respektive einer exzellenten Unternehmensreputation ist die Teilnahme und dann schließlich der Gewinn des European Quality Award.
Der dauerhafte Erfolg des Bayerischen Qualitätspreises, der sich ständig an der hohen Anzahl von Bewerbern ablesen läßt, ist sicherlich zu einem großen Teil auf seine hohe Außenwirkung zurückzuführen. Bei der Betrachtung anderer Qualitätspreise fällt auf, dass dort nur einen Gesamtsieger gibt. Wir vergeben neun Qualitätspreise an Industrieunternehmen und dieses Jahr erstmalig drei Qualitätspreise an Handwerksunternehmen. Neben dem Gesamtsieger für eine herausragende Unternehmensqualität im Handwerk sind neu ausgelobt worden der Preis für die Integration für Mitarbeiter in ein Unternehmensqualitätskonzept sowie für Qualität und Produktion und Auftragsabwicklung im Handwerk. Anlaß hierzu war, verstärkt Handwerksunternehmen die Möglichkeit zu geben, sich in diesem Bereich zu profilieren und ihre Qualitätsparameter transparenter zu machen. Allen diesen zwölf Preisträgern des Bayerischen Qualitätspreises kann für ihre Leistungen allergrößte Hochachtung ausgesprochen werden, aber mit dieser Hochachtung ist auch eine Bitte zu übermitteln: Dieser Preis ist nicht wie ein einmal erworbener Titel, den man vererben kann wie zum Beispiel den des „ehemaligen Königlich Bayerischer Hoflieferanten‘ , zu behandeln. Dieser Preis ist natürlich erst einmal als herausragende Bestätigung einer ausgezeichneten Arbeit anzusehen, aber gleichermaßen auch als Aufforderung, das erreichte Niveau zu halten oder sogar zu verbessern. Dann hat der Preis sein Ziel erreicht.