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Im Einkauf liegt der Gewinn

[10.01.2000]

Foto: WavebreakmediaMicro / fotolia.com
Die alte Kaufmannsweisheit ‘Im Einkauf liegt der Gewinn‘ hat an Aktualität nicht verloren. Im Gegenteil. Viele Unternehmen haben mit der Konzentration auf ihre Kernaktivitäten den Materialkostenanteil an den gesamten Herstellkosten vergrößert, ohne diesem Sachverhalt mit der Gestaltung der Beschaffungsprozesse oder der Organisation Rechnung zu tragen. In der Automobilindustrie betragen die Materialkostenanteile bis zu 70 % und mehr, in der Zulieferindustrie meist deutlich über 50 %. Auch in anderen Branchen wie in der Flugzeugindustrie, Computerbranche oder der chemischen Industrie zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: Mit zunehmenden Materialkosten, dem zunehmenden Kostendruck auf globalen Märkten und dem Konzentrationsprozess auf Abnehmer- und Zulieferseite wird die Ausschöpfung von Einkaufspotentialen zum bedeutsamsten Hebel zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens. Der Einkauf ist nicht mehr als ‘Beschaffer von Teilen‘, sondern als ‘Gestalter von Geschäftsbeziehungen‘ anzusehen. Die zunehmende technische Komplexität der Zukaufteile als Bauteil, Modul oder System erfordert eine Vorverlagerung von Einkaufsaktivitäten in den Produktentstehungsprozess. Der Einkauf nimmt gemeinsam mit der Entwicklung, Produktion und Logistik in einer frühen Phase der Produktentwicklung Einfluss auf Entscheidungsprozesse im Unternehmen. Der Einkauf wird zum Mitgestalter strategischer Unternehmensaufgaben. Die steigende Bedeutung des Einkaufs für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen verlangt nach einem neuen Verständnis der Einkaufs- und Beschaffungsfunktion im Unternehmen, wie auch innerhalb einer Geschäftsbeziehung zwischen Abnehmer und Lieferant.

Ansätze zur Optimierung von Lieferbeziehungen

Welche Ansätze wurden in der Praxis genutzt, um dem fortschreitenden Bedeutungswandel des Einkaufs Rechnung zu tragen? Nicht erst seit Lopéz haben die großen Abnehmer-Unternehmen Programme aufgelegt, um gemeinsam mit dem Lieferanten Kosten zu senken. Bereits Anfang 1980 wurden Aktivitäten gestartet, die aber zunächst eindimensional auf den Einkaufspreis ausgerichtet waren. In der ersten Phase wurden mit Hilfe von Schattenkalkulationen Herstellkosten der Lieferanten abgeschätzt. Die Verhandlungsaktivitäten zielten insbesondere auf das Absenken von Margen. Verschärft wurde dann der Wettbewerb zwischen den Lieferanten durch weltweite Beschaffungsmarktforschung der Abnehmer, um im Sinne eines ‘Global Sourcing‘ die jeweils günstigsten Anbieter zu ermitteln. So schrieb VW Mitte der achtziger Jahre nahezu jedes Beschaffungsgut weltweit aus. Dies setzte vor allem die heimischen Zulieferer unter Druck. Diese Vorgehensweise ermöglichte aber nur die Erschließung kurzfristiger Erfolge. Durch die einseitige Betonung des Faktors Einkaufspreis arbeiteten Abnehmer und Lieferant zunächst getrennt an der Optimierung ihrer Kostenstrukturen. Eine durchgängige Gesamtkostenbetrachtung über die komplette Leistungskette von Abnehmer und Lieferant fand nicht statt.

In der zweiten Phase der Optimierungsprogramme wurden verstärkt Lieferantenauditierungen durchgeführt. Zielsetzung solcher Auditierungen ist die Identifizierung von Verschwendung und Blindleistung im Produktionsablauf des Lieferanten. Einkäufer des Abnehmers identifizierten anhand von Checklisten beim Lieferanten Einsparpotentiale, die dann in die nächste Preisrunde eingebracht wurden. Hilfestellung zur Erschließung der Potentiale wurde den Lieferanten nicht geleistet. Mit steigenden Qualitätsanforderungen an die Lieferanten setzte sich bei den Automobilherstellern jedoch die Erkenntnis durch, dass erstklassige Lieferantenleistungen sich über Preiswettbewerb oder Auditierungen nicht erreichen ließen. Zur weiteren Leistungsverbesserung war eine Neuorientierung in der Beziehung zu Lieferanten erforderlich.

Ausgangspunkt der dritten Phase war die Idee, die gesamte Wertschöpfungskette zwischen Abnehmer und Lieferant in die Optimierungsaktivitäten mit einzubeziehen. Eine Vorreiterrolle nahm dabei General Motors ein, die mit dem PICOS-Konzept (Purchasing Input Concept Optimization with Suppliers) eine partnerschaftliche Neuausrichtung der Abnehmer-Lieferanten-Beziehung anstrebten. Ähnlich wie beim japanischen Automobilhersteller Toyota stand die Durchführung von gemeinsamen Workshops mit Lieferanten im Mittelpunkt der Zusammenarbeit. Schwerpunkte bildeten dabei die Standardisierung von Abläufen, die Optimierung der Arbeitsplatzorganisation, die aktive Einbeziehung der Mitarbeiter in den Problemlösungsprozess, Qualitätsmanagement und Visualisierungstechniken. Verbesserungen zielten auf Produktivitätssteigerungen, Bestands­senkungen und eine effizientere Beschaffungslogistik ab. Als Ergebnis sind Produktivitäts­steigerungen in Höhe von durchschnittlich 30-40%, Bestandssenkungen bis zu 50 %, Flächenreduzierungen von bis zu 25% sowie eine Senkung der Durchlaufzeiten von über 50% erreichbar.

Die Erfolge führten in der vierten Phase dazu, dass auch die anderen Automobilhersteller ihre Beziehungen zu Lieferanten veränderten. Trotz unterschiedlicher Bezeichnungen der Vorgehensweisen wie KVP² (VW), PICOS (GM), Drive for Leadership (Ford), POZ (BMW), TANDEM (Daimler-Benz) oder POLE (Porsche) implementierten die Automobilhersteller Programme mit ähnlichen Zielrichtungen. Dennoch erfüllten viele Lieferantenentwicklungsprogramme nicht die in sie gesetzten Erwartungen. Im Rahmen einer 1994 durchgeführten Delphi-Studie bei Lieferanten der Automobilindustrie wurde der Frage nachgegangen. So traten bei vielen Programmen bereits in der Initiierungsphase Probleme auf, da nicht die richtigen Lieferanten als Partner ausgewählt wurden. Unter der Vermutung der größten Kostensenkungspotentiale wurden Lieferanten ausgewählt, die sich durch eine hohe Marktmacht auszeichneten, und deshalb nicht ernsthaft bereit waren, einen Veränderungsprozess mitzutragen. Während die in der dritten und vierten Phase aufgezeigten Programme auf die Eliminierung von Verschwendung durch kontinuierliche Verbesserung abzielten, setzten weiterführende Ansätze auf einen branchen- und länderübergreifenden Kennzahlenvergleich mittels Benchmarking. Dabei werden die gesamten Einstandskosten (Total Cost of Ownership) herangezogen. Ford beispielsweise ging dabei auch neue Wege bei der Aufteilung der erzielbaren Ergebnisse. Dem Lieferanten kommt über die gesamte Lebenszeit des Produktes hinweg die Hälfte der Einsparungen zugute. Ebenfalls in diese fünfte Phase fielen die Insourcing-Konzepte der Automobilhersteller. Mit der direkten Ansiedlung der Zulieferer an der Produktionsstätte gelang es, die Vorteile der engen logistischen Anbindung mit den Vorteilen des Fremdbezuges zu kombinieren. Als Beispiel für solche Konzepte gelten das Werk in Hambach, der Produktionsstätte des Smart und das Transporterwerk des VW-Konzerns in Brasilien.

Die Erkenntnis, dass das höchste Kostensenkungspotential im Einkauf bereits in der Entwicklung liegt, findet seit etwa Mitte der 90er Jahre ihren Niederschlag in den praktizierten Ansätzen. Diese als sechste Phase anzusehende Weiterentwicklung in der Zusammenarbeit zwischen Abnehmern und Lieferanten verknüpft insbesondere die Aktivitäten des Lieferantensupports mit den Entwicklungsaktivitäten von Abnehmer und Lieferant. Die BMW AG beispielsweise betrachtet die Zulieferer nicht nur als Montagespezialisten mit Entwicklungs-Know-how oder Systementwickler und -fertiger, sondern sie werden als Innovationspartner angesehen. Diese im BMW-internen Sprachgebrauch als ‘Kernlieferanten‘ bezeichneten Zulieferer werden bereits im Rahmen von projektunabhängigen Vorentwicklungen aktiv einbezogen. VW setzt auf eine konzernweite, die einzelnen Marken übergreifende Plattformstrategie. Auf der Plattform A des VW-Golf werden derzeit acht Modelle des Konzerns gebaut. Durchschnittlich 60 % aller Teile sind gleich. Bis 2005 will der Konzern mehr als 90 % seiner weltweiten Produktion auf vier Plattformen herstellen. Die Markenidentität sollen unterschiedliche Karosserien und Innenausstattungen sichern. Die Zulieferer müssen der global ausgerichteten Marken- und Standortstrategie der Abnehmer folgen.

Aktuell kann der Beginn der siebten Phase beobachtet werden: Die Vereinfachung von Zahlungsströmen zwischen Abnehmer und Lieferant nach dem Prinzip ‘Zahlung nach Verbrauch‘ ist nur ein Anfang, bei dem die Vereinfachung administrativer Prozesse zwischen Abnehmer und Lieferant im Vordergrund steht. Wir stehen einer Entwicklung gegenüber, die auf die intensive Nutzung moderner IT-Technologien zur Steuerung der unternehmensübergreifenden Wertschöpfungskette abzielt. Mit der Tendenz, ein auf den Kunden individuell zugeschnittenes Produkt zu erstellen, gewinnt die informatorische Verknüpfung von Abnehmer und Lieferant zunehmend an Bedeutung. Mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit der IT-Technologien werden die Informationen in der gesamten Wertschöpfungskette genutzt, um den Ressourceneinsatz in der Wertschöpfungskette zu steuern. Es kommt zu einer Vorverlagerung von Informationen in der Wertschöpfungskette. Die Geschwindigkeit, mit der Informationen über Bestände, Fehlerquoten, Bedarfe generiert und in der Supply-Chain zur Verfügung gestellt werden, entscheidet über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens.

Werden im Rückblick die verschiedenen Ansätze der einzelnen Phasen beurteilt, so stellt sich die Frage, welchen Leitlinien diese Ansätze folgen. Leitlinien beschreiben Entwicklungstendenzen innovativer Einkaufsstrukturen und formulieren Handlungsrichtungen und Vorgehensweisen zur Optimierung von Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen. Als zentrale Leitlinien können dabei die Konzentration auf das Kerngeschäft, die Vorverlagerung von Einkaufsaktivitäten, die differenzierte Ausgestaltung von Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen, die Prozessorientierung und die Komplexitätsreduzierung angesehen werden.

Weiterführende Literatur zum Thema

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