[19.02.2012]
Mit der Distanzanalyse und der Komplexitätskostenrechnung kann das Produktprogramm des Unternehmens sowohl auf sein Marktpotenzial als auch auf seine Kostenwirkung hin untersucht werden. Als Ergebnis können aus Kundensicht unattraktive oder zu kostspielige Produktvarianten erkannt und eliminiert werden. Zudem werden Produktinnovationen mit den richtigen Eigenschaften identifiziert und im Markt positioniert. Mit der Distanzanalyse getroffene Entscheidungen können durch die Komplexitätskostenrechnung laufend auf ihre Kostenwirkung überprüft werden. Die erreichte Komplexitätsreduktion lässt sich monetär quantifizieren.
In gesättigten Märkten kann der Erfolg eines Produktes nur noch durch Verdrängung realisiert werden. Die Produktkannibalisierung, der Absatzrückgang eines Produktes aufgrund der Einführung eines anderen Produktes der gleichen Marke, Produktlinie und des gleichen Unternehmens, ist ein Phänomen, das in allen Märkten und bei allen Technologien auftritt. Bestehende Produkte eines Anbieters werden im Markt durch gleichgeartete oder nur geringfügig abweichende Lösungen anderer Anbieter substituiert. Unternehmen reagieren auf diese Substitutionsgefahr in gesättigten Märkten häufig durch eine Ausweitung ihrer Produktpalette und Variantenvielfalt mit dem Ziel, bestehende Umsatzgrößen und -ziele auch in zunehmend schwierigen Marktumfeldern behaupten zu können. Mit der steigenden Anzahl an Produktvarianten geht eine Erhöhung der Komplexität der unternehmensinternen Produktionsprozesse einher. Damit verbundene Kostensteigerungen schlagen sich im zunehmenden Maße in den Gemeinkosten nieder, so dass eine verursachungsgerechte Kostenzuordnung mit herkömmlichen Methoden schwer fällt.
Durch den kombinierten Einsatz einer nutzenseitigen Analyse der Produktvarianten mittels Distanzanalyse und einer kostenseitigen Analyse der Produktvarianten mittels Komplexitätskostenrechnung kann das Produktprogramm hinsichtlich seiner Marktwirkung anforderungsgerecht gestaltet und gleichzeitig Einsparpotenziale in der Kostenstruktur ermittelt werden. In direkten und indirekten Bereichen entstehende Kosten werden Produkten und Produktvarianten transparent und verursachungsgerecht zugeordnet.
Die Distanzanalyse stellt eine zentrale Methode der Produktprogrammplanung in gesättigten Märkten dar. Sie zählt zu den multivariaten Analysemethoden und basiert auf dem euklidischen Distanzmaß. Sie basiert auf zwei Annahmen. Erstens, dass die Wahrnehmung von Kunden mehrdimensional ist und zweitens, dass sich die Bewertung der Produkte aus der Wahrnehmung der einzelnen Produkteigenschaften zusammensetzt.
Mit Hilfe der Distanzanalyse lassen sich folgende Fragestellungen beantworten:
Die Durchführung einer Distanzanalyse gliedert sich in fünf Schritte:
Im Rahmen einer Portfolioanalyse werden Ausgangsdaten der eigenen und wahlweise der Konkurrenzprodukte beschafft. Als Ergebnis sind sämtliche kaufentscheidenden Produktmerkmale definiert.
Da die Ausprägungen der kundenrelevanten Produkteigenschaften in unterschiedlichen Größendimensionen abgebildet werden, sind die Eigenschaftsausprägungen auf eine einheitliche Skala zu normieren.
Mit der Gewichtung der Produkteigenschaften aus Kundensicht können die Produkt- und Marktwahrnehmungen unterschiedlicher Käufergruppen erfasst und analytisch berücksichtigt werden.
Aus allen eingangs definierten kaufentscheidenden Merkmalen wird ein n-dimensionaler Eigenschaftsraum aufgespannt, indem jedes Merkmal einer Dimension zugeordnet wird. Den analysierten Produkten des eigenen Unternehmens und wahlweise der Wettbewerber wird entsprechend ihrer Ausprägungen eine spezifische Position innerhalb des Eigenschaftsraumes zugeordnet. Durch Berechnung des euklidischen Distanzmaßes gelingt es, Produkte sowohl gesamthaft als auch bezogen auf konkrete Eigenschaften analysieren und optimieren zu können.
Die sich anschließende graphische Auswertung der Distanzmaße ermöglicht eine Identifizierung von Produktwolken und Portfoliolücken. In Bereichen des Portfolios mit einer erheblichen Produktfülle gilt es, Differenzierungskriterien zu identifizieren und diese auf Eigenschaftsebene zu realisieren sowie grundsätzlich die Position und Anzahl der eigenen Produkte in diesem Bereich zu optimieren. In Bereichen, in denen nur geringer oder gar kein Wettbewerb herrscht, gilt es zu prüfen, ob in diesen Marktfeldern überhaupt Zahlungsbereitschaft oder zumindest ein Nachfragepotenzial seitens der Kunden vorhanden ist. Sollte dies der Fall sein, gilt es, diese Bereiche mit entsprechend ausgestalteten und positionierten Produktkonzepten zu besetzen. So können auf der einen Seite bei konstanter Marktpenetranz die Komplexität durch Variantenreduzierung verringert werden und neue Marktfelder für das eigene Unternehmen identifiziert und Umsatzsteigerungen generiert werden. Zudem muss insbesondere bei Neuproduktkonzepten eine Substitutionsanalyse durchgeführt werden. Die Untersuchung von Substitutionseffekten gibt Antwort auf die Frage, wie leicht eigene Produkte am Markt durch andersartige Produkte ersetzt und schließlich vom Markt verdrängt werden können.
Die Kosten, die durch viele Produktvarianten entstehen, werden bei der Komplexitätskostenrechnung transparent und monetär quantifizierbar. Entstandene Kosten in direkten und indirekten Unternehmensbereichen können Produkten und Produktvarianten verursachungsgerecht zugeordnet werden. Dazu werden diejenigen Kosten bestimmt, die eine Variante oder ein Produktprogramm in verschiedenen Unternehmensbereichen generiert. Hierfür ist eine Abkehr von der üblichen Zuschlagskalkulation notwendig, da insbesondere Gemeinkosten verursachungsgerecht verrechnet werden müssen. In ihnen verstecken sich die vielfalts- und komplexitätsbedingten Kosten. Dazu wird eine vorgangsorientierte Kostenrechnung mittels Varianten- oder Prozesskostenrechnung eingesetzt.
Die Variantenkostenrechnung ist aufwandsbedingt nur bei einer begrenzten Breite und Tiefe des Produktprogramms anwendbar. Bei der Prozesskostenrechnung erfolgt die Kostenverrechnung im Unternehmen auf Basis von Aktivitäten, die das Unternehmensgeschehen abbilden. Kostenumlagen und pauschale Zuschlagssätze werden vermieden. Die verursachungsgerechte Kostenzuordnung ermöglicht die transparente Darstellung von Produktprogrammänderungen auf die betriebliche Kostenstruktur. Eine effektive Kostenkontrolle ist somit möglich. Bestehende oder geplante Produktvarianten können auf ihre Ertragskraft hin untersucht werden. Mittels der Untersuchung der Komplexitätskosten werden Rationalisierungspotenziale im Unternehmen aufgedeckt und Entscheidungen bezüglich der Eigenfertigung und des Fremdbezugs von Produkten und Prozessen können getroffen werden. Durch den Transfer der Ergebnisse der Komplexitätskostenrechnung in der Entwicklung und Konstruktion können Komplexitätskosten durch kostengünstiges Variantendesign vermieden werden.