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Modularer Hausbaukasten

[20.05.2015]

Foto: Mimi Potter / fotolia.com
Grundgedanke der Modularisierung ist die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen. Konkret bedeutet dies, komplexe Systeme in überschaubare und replizierbare Funktionselemente herunter zu brechen und auf deren Basis ein transparentes und geordnetes Gesamtsystem mit einem hohen Standardisierungsgrad aufzubauen.

Bedarf an individuellem und bezahlbarem Wohnraum

Infolge der rapide zunehmenden Bevölkerung in vielen Regionen der Erde wird die Bauindustrie mit einer stark wachsenden Nachfrage nach neuem und zugleich bezahlbarem Wohnraum konfrontiert. Der Trend der Urbanisierung stellt die Baubranche vor neue Herausforderungen, da sich Bauprojekte in dicht besiedelten Regionen durch hohe Ansprüche an die Effizienz der Bauraumnutzung, die Baustellenorganisation, die geometrische Flexibilität und die Lebenszykluskosten der Immobilienobjekte auszeichnen. Dabei ist die Bauindustrie in ihren Strukturen bislang mit regionalen Handwerksbetrieben traditionell und diversifiziert aufgestellt. Die Industrialisierung, die in anderen Branchen erfolgte, hat in der Baubranche bisher weitestgehend nicht stattgefunden. Die Herausforderung lautet, bezahlbaren und zugleich ansprechenden Wohnraum ohne staatliche Subventionierung zu schaffen. Das Konzept der Modularisierung bietet dazu einen Lösungsansatz.

Video: Modularisierung im Hausbau


Umsetzung des modularen Hausbaukastens

Um das Gesamtsystem transparenter und geordneter gestalten zu können, werden auf Basis individuell definierter Ordnungsregeln Produkte, Produktionsprozesse oder ganze Produktionssysteme in funktionale, in sich geschlossene und replizierbare Einheiten untergliedert, die auf Basis eindeutig spezifizierter Schnittstellen in nahezu beliebiger Varianz zusammengesetzt werden können. Die Etablierung eines auf sich ergänzenden Kernkompetenzen basierenden Kooperations- und Produktionsnetzwerks aus Baustoff-, Stahlstruktur- sowie Komponentenherstellern bildet die Ausgangsbasis für die industrialisierte Fertigung von Raummodulen in einer industriellen Produktionsumgebung.

Es können unterschiedlichste Baustoffe in einer variantenreichen Serienproduktion auf Basis modernster Produktionsanlagen und Produktionssysteme kosteneffizient und mit einer überschaubaren Koordinationskomplexität zu kundenindividuellen Raumlösungen verarbeitet werden. Die für das modulare Hausbaukonzept präferierte Lösung basiert dabei maßgeblich auf der heute hochentwickelten Technik des Stahl-Leichtbaus. Ziel der modularisierten Produktion ist es, komplette Raummodule in einer standardisierten Produktionsumgebung bis zur Bezugsfertigkeit aufzubauen. So kann ein Großteil der Wertschöpfung unter gleichbleibenden Rahmenbedingungen durch spezialisierte und geübte Fachkräfte und unter Zuhilfenahme geeigneter Produktionsanlagen sowie Montagehilfsmittel erfolgen. Repetitive Arbeitsumfänge lassen sich zu einem hohen Grad automatisieren. Durch die Integration umfassender Qualitätssicherungsmaßnahmen in den Produktionsprozess kann eine hohe Prozessstabilität sichergestellt werden. Auf der Baustelle fallen somit lediglich Montagearbeiten an, um die Raummodule zu dem fertigen Immobilienobjekt zu verbinden und dieses an die lokale Infrastruktur anzuschließen. Um eine hohe Prozesssicherheit und -effizienz auf der Baustelle zu gewährleisten, lassen sich durch Montagehilfsmittel und entsprechende Prozessstandards sämtliche Wertschöpfungsumfänge standardisieren.


So erfolgt etwa die Montage von Dachmodulen durch ein Aufklappen der einzelnen Dachelemente. Bei den Modulen des obersten Stockwerks sind diese Elemente bereits vorgefertigt montiert und werden bei der Montage auf der Baustelle aufgeklappt und verankert. Die Montagefugen der einzelnen Hausmodule sowie Giebelwandelemente werden entsprechend der Außenfassade mit vorgefertigten Elementen ergänzt. Je nach Bedarf ist es möglich, Terrassen- und Balkonelemente zu installieren sowie Zusatzelemente des Eingangsbereichs zu montieren. Eine besondere Herausforderung liegt in der Standardisierung aller modulübergreifenden Schnittstellen wie etwa Elektrizitäts-, Wasser- und Gasleitungen sowie der Kommunikationstechnik für Automatisierungslösungen. Diese sind so ausgestaltet, dass eine einfache und sichere Endmontage der Module auf der Baustelle ermöglicht wird, die Leitungen im fertigen Haus nicht sichtbar aber dennoch leicht zu erreichen sind und eine nachträgliche Modifikation der Module im Laufe des Lebenszyklus realisierbar ist. Auch spezifischen technischen Herausforderungen wie der Realisierung von gas- und dampfsperrenden oder –hemmenden Funktionen und der Verhinderung von Wärmebrücken an den Modulschnittstellen wird durch neue technische Lösungen begegnet.

Betriebswirtschaftliche Vorteile des modularen Hausbaus

Der Vorteil des modularen Hausbaus gegenüber der konventionellen Bauweise liegt in der Verlagerung eines Großteils der Wertschöpfungsaktivitäten in eine standardisierte Produktionsumgebung, die optimale Arbeitsbedingungen, effektive Produktionsmittel und –Anlagen sowie qualifiziertes Personal in sich vereint. Hieraus ergeben sich Lernkurven- und Skaleneffekte sowie eine hohe Wiederholungsqualität in den Fertigungsprozessen, die die Realisierung von Qualitäts-, Kosten-, Flexibilitäts- und Zeitvorteilen bei einer gleichzeitig besseren Kundenwertorientierung ermöglichen.

Ein weiter wesentlicher Kostenblock, die Baustellenkosten, die sich aus Personalkosten, Kosten für Baugeräte sowie Logistikkosten zusammensetzen, lassen sich durch die Verlagerung eines Großteils der Wertschöpfungsumfänge in die Fabrik reduzieren. Auch nicht-wertschöpfende und indirekte Kostenumfänge wie Nacharbeitskosten und Kosten aus Projektverzögerungen werden nachhaltig reduziert. Der Anteil nicht wertschöpfender und wertvernichtender Aktivitäten auf der Baustelle wird um 90 % gesenkt. Insgesamt lässt sich durch den Einsatz des modularen Hausbaukastens eine durchschnittliche Kostenreduzierung von über 75 % gegenüber der konventionellen Herangehensweise erzielen. Der durch die Modularisierung realisierbare Zeitvorteil gegenüber konventionellen Bauprojekten liegt bei über 50 %. Durch verschiedene Wahlmöglichkeiten in Bezug auf die Innenausstattung, wie etwa unterschiedliche Bodenbeläge, Sanitärausstattungen, Beleuchtungskonzepte und Küchen lassen sich auch umfassende Individualisierungsanforderungen effizient abbilden.

Marktpotenzial des Konzeptes

Das modulare Haus eignet sich sowohl für den Bau von Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern als auch für Sonderbauten und ganze Siedlungsprojekte. Kundenseitig lässt sich die Wirtschaftlichkeitsbewertung von Bauobjekten auf Basis einer lebenszyklusbasierten Kostenkalkulation durchführen. Infolge der standardisierten Fabrikumgebung, der eintretenden Skaleneffekte sowie der deutlich reduzierten Baurealisierungsphase lassen sich die Herstellkosten gegenüber dem konventionellen Hausbau um mehr als 75 % reduzieren. Auch nach Abschluss der Bauphase trägt das modulare Haus durch eine hohe Energieeffizienzklasse, optimierte Service- und Instandhaltungsprozesse sowie die hohe Flexibilität der Innen- und Außengeometrie zu einer weiteren Reduzierung der Lebenszykluskosten bei gleichzeitiger Steigerung des Kundennutzens bei. So können die durchschnittlichen monatlichen Wohnkosten um 50 % reduziert werden. Als Schlussfolgerung könnten sich durch den modularen Hausbau anstatt bisher 20 % der Haushalte nunmehr rund 50 % der Haushalte ein eigenes Haus leisten. Investoren halbieren ihre Abschreibungen, der Anteil des frei verfügbaren Einkommens der Häuslebauer könnte um bis zu 13 % steigen.

Der volkswirtschaftliche Nutzen wird durch die Möglichkeit der Übertragung des modularen Hausbaus auf den Bereich der Nachverdichtung und Sanierung weiter gesteigert, der infolge der im Jahr 2015 in Kraft getretenen „Mietpreisbremse“ stärker denn je von Wirtschaftlichkeitsrechnungen getrieben ist. Die, durch die modulare Bauart mögliche Kostensenkung erlaubt die Rendite solcher Sanierungsprojekte bei gleichzeitiger Sozialverträglichkeit zu verbessern. Ein weiterer Nutzen ergibt sich aus der volkswirtschaftlichen Perspektive im Bereich des sozialen Wohnungsbaus sowie im Bau von öffentlichen Einrichtungen. Im Jahr 2012 wurde mit 2,5 Mrd. EUR ein Bestand von etwa 1,5 Mio. Sozialwohnungen in Deutschland geschaffen. Um den kompletten Bedarf an Sozialwohnungen zu decken, fehlen nach Einschätzungen weitere 4 Mio. Wohnungen. Im Bereich der Sonderbauten und Bauten unter Mehrfachnutzung wird von einem Neubedarf von 28 Mio. m² Fläche oder 50 Mrd. EUR bis 2020 und einem Sanierungsbedarf von 98 Mio. m² oder 75 Mrd. EUR ausgegangen. Insgesamt ist mit einem an das wirtschaftliche Gesamtwachstum gekoppelten Verhalten der Marktentwicklung in diesem Segment zu rechnen. Das Umsatzvolumen im Bereich der Sonderbauten trägt somit konstant zu etwa 40 % des Gesamtumsatzes im Bausegment bei. Aus der konstanten Marktanteilsentwicklung ergibt sich eine Vergrößerung des Marktvolumens von 42 Mrd. EUR heute auf 125 Mrd. EUR in 2020 sowie 227 Mrd. EUR in 2050 in diesem Segment. Durch die Markttransformation von konventionellen zu modularen Bauweisen ergibt sich eine progressive Marktanteilsentwicklung von 2 Mrd. EUR heute auf 12 Mrd. EUR in 2020 und 72 Mrd. EUR in 2050.

Der modulare Hausbau stellt keinesfalls ein regionales Produkt dar. Auf Basis des standardisierten Aufbaus der Wandstruktur können die Produkte einfach lokalisiert und somit, analog zur Automobilindustrie, zum deutschen Exportschlager werden. So können neben Projekten in Russland, China oder Indien auch die Märkte in den USA oder Südostasien erschlossen werden. 

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